Image

Was eine 95-jährige Israelin den Gaza-Bewohnern wünscht – Ein Vermächtnis jenseits von Hass

26. Oktober 2025 / Redaktion

Menschlichkeit statt Hass 

Gedanken einer Holocaustüberlebenden zur Befreiung der letzten 20 lebenden Geiseln aus Gaza – notiert von Angelika

Im März haben wir die heute 95-jährige Regina Steinitz mit einem jungen Team aus Hamburg in ihrer Wohnung in Tel Aviv besucht. Seit über 20 Jahren verbindet uns eine herzliche Freundschaft mit Regina und ihrem verstorbenen Mann Zvi. Den Holocaust hat sie mitten in Berlin teils im Versteck überlebt, musste den Tod vieler Freunde und Verwandten verarbeiten, hat 1948 ihr Geburtsland verlassen und den Staat Israel mit aufgebaut. Viele weitere Kriege musste sie seitdem in ihrer neuen Heimat mitmachen. Wer ein solches Leben hinter sich hat, könnte zu Recht verbittert sein. Stattdessen zeigen ihre Worte, die sie Mitte Oktober am Tag der Rückkehr der letzten 20 lebenden Geiseln aus Gaza spricht, dass sie nicht von Anklage oder Hass verzehrt wird, sondern dass sie den Menschen in Gaza Gutes wünscht.

Die Botschaft: Menschlichkeit statt Vergeltung

„Ich hoffe, dass die Welt den Menschen in Gaza helfen wird, ihre Häuser wieder aufzubauen, dass eine gute, arabische Regierung eingesetzt wird, die für die sozialen und gesundheitlichen Belange sorgen wird, damit sie ein normales Leben führen können – die Menschen, die unsere Nachbarn sind…“

In einer Zeit, in der jede Seite sich in Schmerz, Rechtfertigung und Angst vergräbt, spricht diese alte Frau über Aufbau, Erziehung und Mitgefühl. Blick nach vorne. Kein politischer Slogan. Kein moralischer Zeigefinger. Nur die schlichte Erkenntnis eines Menschen, der das Schlimmste gesehen hat: Hass ist keine Lösung, und wer mit Hass erzogen wird, ist eine Gefahr für alle.

Regina erinnert daran, dass Trauma Generationen prägt. Die Geiseln, die nach zwei Jahren endlich nach Hause kamen, werden ihr Leben lang mit diesen Schatten leben – genau wie sie selbst, die jahrzehntelang nicht sprechen konnte über das, was sie durchgemacht hatte. Anders als 1945 werden die Geiseln von ihren Lieben mit Wärme und Fürsorge empfangen, was sich heilsam auf die Bearbeitung der Schrecken auswirken wird. Auch den Nachbarn Israels wünscht sie Heilung, nicht Rache.

Diese Haltung ist keine naive Friedensromantik. Sie ist die ultimative Form von Realismus. Wer das Böse überlebt hat, weiß, dass Menschlichkeit die einzige Waffe ist, die langfristig funktioniert.

„Das Leben lehrt einen, dass Schlechtes tun sich nicht lohnt, sondern dass es andere unglücklich macht.“

Regina Steinitz

Regina Steinitz, geborene Anders, wurde am 24. Oktober 1930 in Berlin geboren. Sie überlebte den Holocaust als Kind im Versteck bei ihrem nicht-jüdischen Onkel, nachdem ihre Mutter gestorben und ihr Vater ins Exil nach Amerika geflohen war. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Ruth hatte sie zuvor im jüdischen Kinderheim in der Fehrbelliner Straße gelebt, wurde 1943 vom Onkel vor der sicheren Deportation aus den Händen der SS im Gestapo-Hauptquartier gerettet.

Nach dem Krieg arbeitete Regina als Säuglingsschwester und wanderte 1948 mit ihrer Schwester nach Israel aus, in den von Schoa-Überlebenden gegründeten Kibbuz Buchenwald, später umbenannt in Netzer Sereni. Dort lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Zwi Helmut Steinitz kennen, mit dem sie zwei Kinder bekam. Als Oberschwester in der Geburtshilfe und Frau eines Auschwitz-Überlebenden empfand Regina jedes jüdische Kind, das geboren wurde als ein Kind, das aus Auschwitz zurückgekommen ist.

Bis 2018 kamen sie und ihr Mann Zwi regelmäßig nach Deutschland und erzählten an Schulen und Universitäten als Zeitzeugen von ihrem Überleben, um das Erinnern wachzuhalten. Auch nach dem Tod ihres lieben Mannes 2019 hat Regina ihre fröhliche Art und ihren messerscharfen Verstand bewahrt. Jeder Besuch bei ihr ist eine Freude und Bereicherung. Regina Steinitz ist nach wie vor eine Stimme der Versöhnung und Mahnerin gegen Hass.

Das Vermächtnis einer Überlebenden

Regina Steinitz spricht nicht als Politikerin, nicht als Kommentatorin. Sie spricht als Mensch, der mit Gottes Hilfe den Hass überwunden hat – und deshalb weiß, was Frieden wirklich bedeutet:
nicht Vergessen, sondern Verstehen. Nicht Gleichgültigkeit, sondern Mitgefühl. Nicht Hass, sondern im Gegenüber einen Menschen sehen, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. 

Und vielleicht ist das das eigentliche Vermächtnis, das uns die 95-Jährige heute mitgibt: den Mut, menschlich zu bleiben, selbst wenn alles danach schreit, es nicht zu sein.

Tipp: Die ARD hat Regina Steinitz eine achtminütige Doku unter dem Titel „Ausschwitz und ich “ gewidmet: Link.

In ihrem Buch „Zerstörte Kindheit und Jugend. Mein Leben und Überleben in Berlin“, ISBN 978-3-912240-16-1, erfährt man mehr über das jüdische Leben in Berlin während des Krieges und über Reginas persönliche Erfahrungen.